Rudern aus osteopathischer Sicht | Concept2

Rudern aus osteopathischer Sicht

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Mai 12, 2025
Ganzkörpertraining mit besonderem Blick auf Muskeln, Faszien und Gelenke (Ein Beitrag von Sascha Bade)

Es ist ein frischer Sonntagmorgen. Die Sonne ist gerade erst aufgegangen. Durch einen der vielen hamburger Alsterkanäle gleitet ein schmales Boot. Das Wasser ist fast unbewegt. Mit jedem Ruderschlag wird das kleine Boot kraftvoll vorangetrieben. Dabei wirkt der Ruderer alles andere als angespannt. Dabei zählt das Rudern zu den körperlich anspruchsvollsten Sportarten. Ganz egal, ob Du mit deinem Ruderboot durch das Wasser gleitest, oder zu Hause auf dem Ruder-Ergometer sitzt. Rudern aktiviert nahezu alle Muskelgruppen, verbessert Ausdauer, Kraft und Koordination gleichermaßen und hat gleichzeitig eine Vielzahl an gesundheitlichen Vorteilen. Doch was bedeutet das für Ihren Körper aus osteopathischer Sicht? Wo liegen typische Schwachstellen, und wie kann man sie vermeiden?
In diesem Artikel möchte ich den komplexen Bewegungsablauf und seine Zusammenhänge mit den Muskeln, Faszien und Gelenken genauer analysieren. Welche Vorteile bietet das Rudern und welche potenziellen Beschwerdefelder gibt es aus osteopathischer Sicht.
Warum Rudern den ganzen Körper fordert
Rudern zählt zu den sogenannten „zyklischen Kraftausdauersportarten“. Das bedeutet, dass Du immer wiederkehrende Bewegungsabläufe ausführst – ähnlich wie beim Laufen, Radfahren oder Schwimmen. Doch während etwa beim Laufen vor allem Deine Beinmuskulatur arbeitet, beziehst Du beim Rudern quasi alle großen Muskelgruppen mit ein. Vom Nacken und den Schultern über Rumpf und Rücken bis hinunter zu den Zehen wird jede Region beansprucht.
Durch diese Ganzkörperbeanspruchung wird das Rudern zu einem harmonische Ablauf: Zuerst drücken Deine Beine das Ruderblatt (bzw. beim Ergometer den Griff über die Kette oder den Seilzug) nach hinten, dann kommt Dein Rumpf dazu, der den Oberkörper aufrichtet und stabil hält. Anschließend ziehen die Arme das Ruder vollständig durch. Jeder Abschnitt dieses Zuges aktiviert andere Muskelgruppen. Beim Rückweg in die Ausgangsposition steuerst Du wiederum mit Bauch- und Rückenmuskulatur, um den Bewegungsablauf kontrolliert und fließend zu gestalten.
· Beine: Beim Start des Zugs („Catch“) übernehmen Quads, Gesäß und Waden den Hauptanteil der Kraft.
· Rumpf/Becken: Halten Deinen Oberkörper stabil, entlasten Deine Wirbelsäule und leiten die Kraft auf die Arme weiter.
· Arme/Schultern: Vollenden den Zug, indem sie den Griff zum Körper ziehen – auch Griffmuskulatur und Finger spielen eine wichtige Rolle, weil sie den Zug stabilisieren.
Weil Du beim Rudern den gesamten Körper einsetzt, muss Dein Herz kräftig pumpen, um die benötigte Energie (in Form von Sauerstoff) zu den Muskeln zu bringen. Profis erreichen bei ihrer Sauerstoffaufnahme Spitzenwerte von bis zu 7000 ml pro Minute. Zum Vergleich, bei untrainierten Personen liegt die maximale Sauerstoffaufnahme häufig nur bei etwa 2000 bis 3000 ml pro Minute. Für Dich bedeutet das: Bereits in moderaten Intensitätsbereichen trainierst Du ganzheitlich und verbesserst Deine aerobe Ausdauer ebenso wie Deine Kraftausdauer. Das Rudern stimuliert Dein Herz-Kreislauf-System also sehr effektiv, und Du merkst schnell, wie Dein allgemeines Fitnesslevel steigt.
Aus meiner Sicht entsteht so ein ideales Zusammenspiel aus Kraft, Koordination und Ausdauer. Durch die schonende und runde Bewegung ist Rudern auch für die meisten Menschen möglich.
Osteopathie – mehr als nur Knochen rücken
Osteopathie ist eine ganzheitliche Behandlungsmethode, die sich mit dem Zusammenspiel von Muskeln, Faszien, Gelenken und Organen befasst. Ziel ist es, Funktionsstörungen aufzuspüren und zu beheben.
Man kann sich das wie ein großes Spinnennetz vorstellen: Zieht man an einer Stelle einen Faden straff, spannt sich das Netz in weitem Umkreis. Ähnlich funktionieren die Faszien im menschlichen Körper. Eine Blockade im Becken kann deshalb beispielsweise zu Schmerzen im Knie führen – oder ein verspannter Nacken kann sich bis in die Hand auswirken.
Typische Probleme beim Rudern aus osteopathischer Sicht
Obwohl Rudern ein sehr gesundheitsfördernder Sport ist, gibt es natürlich auch hier typische Schwachstellen und Überlastungssyndrome. Sie lassen sich häufig auf ungünstige Technik, zu hohe Trainingsintensität oder anatomische Besonderheiten zurückführen.
Knieprobleme (femoropatellares Schmerzsyndrom) Beim Rudern wirken große Kräfte auf das Knie, vor allem in der Phase, in der Sie sich mit den Beinen abstoßen. Typische Überlastungsbeschwerden äußern sich in dumpfen Schmerzen rund um die Kniescheibe. Wenn Du mit den Füßen nicht exakt mittig oder im
richtigen Winkel positioniert bist, kann sich Dein Knie beim Abstoßen nach innen oder außen drehen. Dadurch wird die Kniescheibe (Patella) nicht sauber in ihrer Gleitbahn geführt. Ein osteopathischer Ansatz würde hier nicht nur das Knie selbst behandeln, sondern auch die Stellung des Fußes. Bestehen muskuläre Dysbalancen, wie ein unausgeglichenes Verhältnis zwischen Oberschenkelvorder- und -rückseite kann es zu einer Fehlbelastung der Patella kommen. Aber auch das Becken hat einen Einfluss auf die Knie. Ist Dein Becken schief, kann sich das auf die gesamte Beinachse auswirken. Die Folge: Dein Knie wird in eine unnatürliche Position gezwungen. Verkippungen oder Blockaden im Beckenbereich können Spannungen entlang der gesamten myofaszialen Ketten (Muskeln und Faszien) verursachen. Man geht mittlerweile davon aus, dass 80% aller Knieschmerzen entweder aus der Hüftregion, oder von den Füßen kommt. So groß ist der Einfluss der Statik auf die Knie.
Was Du selbst tun kannst
Training der Rumpf- und Hüftmuskulatur: Um die Knie zu stabilisieren, ist eine kräftige Hüft- und Gesäßmuskulatur unverzichtbar. Durch Übungen wie Hüftstrecker, Planks oder leichte Kniebeugen mit sauberer Technik kannst Du die nötige Stabilität entwickeln.
Füße richtig positionieren: Achte vor und während des Ruderns darauf, dass Deine Füße in einer natürlichen Ausrichtung fixiert sind. Liegt Dein Stemmbrett höher oder tiefer, kann es Deine Knie negativ beeinflussen. Passe die Höhe an Deine Anatomie und Deinen Komfort an.
Deine Technik überprüfen: Eine Rundrückenhaltung im Catch (vorne in der Zugposition) oder beim Durchzug kann die Knie zusätzlich belasten. Achte darauf, dass Dein Rücken gerade bleibt und Du die Kraft primär aus den Beinen holst.
Rücken- und Beckenbeschwerden (Lumbalgie, ISG-Blockaden) Viele Ruderer kennen dieses Problem: Ein ziehender, dumpfer oder sogar stechender Schmerz im unteren Rücken, der nach intensiven Trainingseinheiten oder während der Ausführung selbst auftritt. Häufig beruht das auf einer unzureichenden Rumpfstabilität oder einer fehlerhaften Haltung während der Ruderbewegung. Wenn Deine Bauch- und Rückenmuskulatur nicht genug Stabilität aufbauen kann, übernimmt die Lendenwirbelsäule zu viel Belastung. Sie „hängt“ gewissermaßen durch, was zu einer Überbeanspruchung von Bändern, Bandscheiben und kleinen Wirbelgelenken führen kann. Besteht eine Blockade im Iliosakralgelenk (ISG), gerät das muskulär-fasziale Gleichgewicht im unteren Rücken durcheinander. Bei der Vor- und Zurückbewegung im
Boot kann sich diese Dysbalance weiter verstärken, weil das ISG ständig in Bewegung sein sollte, jedoch durch die Blockade in seiner Bewegung eingeschränkt ist.
Kommen Ruderer mit Rückenschmerzen in meine Praxis, kontrolliere ich daher immer die tiefliegenden Lendenmuskeln. Verspannungen im M. psoas oder M. quadratus lumborum können die Beckenstellung ungünstig beeinflussen und zu einem Rundrücken oder Hohlkreuz führen. Bänder und Gelenke, die durch Blockaden zu stark gespannt sind, können so für Schmerzen und Bewegungsinschränkungen sorgen.
Was Du selbst tun kannst
Kräftige Deine Rumpfmuskulatur: Planks, stabilisierende Übungen wie der „Bird Dog“ oder leichte Rückenübungen im Vierfüßlerstand fördern die notwendige Stabilität. Eine sehr gute und oftmals vergessene Übung ist die „Vakuum-Pose“. Dabei zieht Du deinen Bauch so weit wie möglich ein und hältst diese Spannung für 10 Sekunden. Mit dieser Übung trainierst Du den querverlaufenden Bauchmuskel (M. transversus abdominis). Dieser Muskel stabilisiert deinen Rumpf. Mit fünf Durchgängen zu je 10 Sekunden bist Du für den Anfang gut dabei.
Achte auf Deine Technik und lasse Deinen Rücken beim Rudern nicht zu stark rund werden. Ziehe die Schulterblätter leicht nach hinten unten, um den Rumpf stabil zu halten. Regelmäßiges Stretching und Mobilisieren von Lendenwirbelsäule, Hüfte und Gesäß lockern die Strukturen und können Blockaden vorbeugen.
Hand- und Handgelenksbeschwerden (Karpaltunnelsyndrom, Sehnenscheidenentzündung) Obwohl beim Rudern die Beine den größten Anteil der Kraftarbeit leisten, spielen Deine Hände eine entscheidende Rolle: Sie halten den Griff, übertragen die Kraft vom Oberkörper auf das Ruderblatt oder – beim Ruderergometer – auf Kette beziehungsweise Seilzug.
Einige Dinge solltest Du dabei allerdings beachten. Wenn Du den Griff zu fest umklammerst, erzwingt das eine konstante Spannung in Hand- und Unterarmmuskulatur. Das kann auf Dauer zu Sehnenscheidenentzündungen (Tendovaginitis) führen. Ein ungünstiger Hand- oder Handgelenkswinkel erhöht das Risiko, das Deine Handgelenke dauerhaft überstreckt oder zu stark gebeugt sind. Dadurch steigt das Risiko für Reizungen im Karpaltunnel. Bei dieser Problematik wird im Handgelenk der sogenannte Medianusnerv (N. medianus) eingeengt, was Taubheitsgefühle, Kribbeln oder sogar Schmerzen in Daumen, Zeige- und Mittelfinger verursachen kann. Ein zu enger Griff und ungünstige Handpositionen können das begünstigen.
Was Du selbst tun kannst
Lockerer greifen. Stelle Dir vor, Du hältst ein Ei in der Hand – fest genug, um es nicht fallen zu lassen, aber nicht so fest, dass es zerbricht. Achte bei jedem Zug darauf, die Handgelenke weder stark zu beugen noch zu überstrecken. Stelle sicher, dass sich Deine Finger, Hand und Unterarm in einer Linie befinden.
Mit regelmäßigem Dehnen der Unterarmmuskulatur kannst Du Überlastungen reduzieren. Kräftigungsübungen mit leichten Widerständen helfen dir zudem, das Handgelenk zu stabilisieren.
Wenn Du auf einem Ruderergometer trainierst, kannst Du die Griffposition variieren oder spezielle Griffe nutzen, die eine neutralere Haltung ermöglichen.
Fazit: Rudern – ein Sport für Körper und Geist
Für mich ist Rudern eine wahre Ganzkörper-Symphonie. Da nahezu alle Muskelgruppen im Spiel sind und das Boot Ihr Gewicht trägt, ist der Sport – richtig ausgeführt – ideal, um Ausdauer, Kraft und Koordination zu verbessern. Er stärkt das Herz-Kreislauf-System, fördert die Atmung und kann bei passender Technik Rückenschmerzen sogar vorbeugen.
Gleichzeitig birgt intensives Rudern aber auch Risiken für Überlastung. Wer stundenlang dieselbe Bewegung ausführt, muss besonders auf die richtige Körperhaltung achten und sein Training an die eigenen Fähigkeiten anpassen. Typische Beschwerden betreffen dabei Knie, Rücken, Becken und Handgelenke. Ein regelmäßiger Check-up, bevor Probleme auftreten kann helfen.
Die Osteopathie liefert einen ganzheitlichen Blick auf diese Probleme. Hier werden nicht nur schmerzende Stellen untersucht, sondern auch alle miteinander verknüpften Strukturen. So können die wahren Ursachen für Blockaden und Muskelverspannungen gefunden und gezielt behandelt werden.
Wenn Sie also den Rudersport für sich entdecken oder intensivieren möchten, lohnt sich einerseits die professionelle Anleitung durch erfahrene Trainer, andererseits die regelmäßige sportärztliche (oder osteopathische) Untersuchung, um mögliche Schwachstellen früh zu erkennen. Denken Sie stets an das große „Faszien-Spinnennetz“ in Ihrem Körper: Wer an einer Stelle zu sehr zieht oder drückt, kann damit ein Ungleichgewicht in Gang setzen, das sich plötzlich an ganz anderer Stelle zeigt.
Richtig umgesetzt ist Rudern jedoch ein fantastischer Sport: Sie erleben die Natur, stärken Ihren ganzen Körper und können den Kopf wunderbar freibekommen. Mit der richtigen Dosis Training und dem Blick eines Osteopathen bei Bedarf, werden Sie lange Freude an jedem Schlag auf dem Wasser haben – und Ihr Körper bedankt sich mit einem harmonischen Zusammenspiel von Muskeln, Faszien und Gelenken.

 

 

Tags: Indoor Rower

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